Von der jüngsten ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe, die sich mit der Liebe Christi beschäftigt hat, die die Welt bewegt, versöhnt und eint, hat sich mir die bewegende und schwierige Frage einer muslimischen Teilnehmerin in das Herz eingebrannt, der die Vollversammlungsdelegierten fragte: „Gilt die Liebe Christi nur den christlichen Gläubigen oder auch mir?“
Die frohe Botschaft des allerersten Weihnachtsfestes besagt ganz deutlich, dass die Liebe Gottes in Christus tatsächlich allen Menschen, ja der ganzen Schöpfung gilt. In der Nacht, in der Jesus geboren wurde, erscheint den Hirten auf dem Feld, die dort ihre Herden hüten, ein Engel. Die Hirten sind erschrocken und haben große Angst. Aber der Engel sagt ihnen: „Fürchtet euch nicht!“ und verkündet weiter: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren.“ Und dann verkündet eine Engelschar den ärmlichen Hirten: Ehre sei Gottes in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.
Wir leben in einer Zeit der Angst und Sorge. Menschen sorgen sich um das Überleben zukünftiger Generationen oder haben Angst vor der Überflutung ihrer Heimatinseln aufgrund des Klimanotstands, mit dem wir derzeit konfrontiert sind. Viele Menschen haben Angst, morgen nicht mehr in der Lage zu sein, den eigenen Kindern etwas zu essen zu geben. Andere haben Angst, dass militärische Auseinandersetzungen in einer nuklearen Katastrophe enden könnten. In der Ära der sozialen Netzwerke führt diese Angst zu vermehrter Hetze, zu einer Verbreitung von Verschwörungstheorien, Menschenrechtsverletzungen und Bedrohungen für die Demokratie.
Die mutmachenden Worte des Engels – „Fürchtet euch nicht!“ – spiegeln die uralte christliche Lehre wider, dass Glaube und Liebe Angst und Furcht austreiben. Der Engel hat die Hirten an diesem ersten Weihnachten aufgerufen, an die göttliche Verheißung vom Frieden auf Erden und dem Wohlgefallen Gottes an den Menschen zu glauben.
Die Worte des Engels gelten auch dir und mir heute noch: „Fürchtet euch nicht!“ Ebenso gilt die Verheißung der Engel auch dir und mir heute noch: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Und wenn wir diese Verheißung annehmen, macht der Geist Gottes uns zu Menschen seines Wohlgefallens.
Wer aber sind die Menschen seines Wohlgefallens? Als christliche Gläubige sind wir uns bewusst und bezeugen wir, dass wir aufgerufen sind und dass es unsere Berufung als Jüngerinnen und Jünger Christi ist, Menschen seines Wohlgefallens zu sein, Werkzeuge für Versöhnung und Friedensstiftende, die die Liebe Christi für die Welt praktisch umsetzen. Menschen seines Wohlgefallens sind aber auch Menschen anderer Religionen und Menschen ohne Religionszugehörigkeit, die ihren Nächsten und insbesondere den Schutzbedürftigsten unter uns diese barmherzige Liebe zuteilwerden lassen und die die Werte des Gottesreiches in ihrem täglichen Leben praktisch umsetzen. Es sind die Menschen anderer ethnischer Abstammung und aus anderen Kulturen, die zur Bewahrung und Erneuerung der gesamten Schöpfung versuchen, möglichst einfach zu leben. Es sind die Menschen, die die Würde eines jeden Menschen auch heute bekräftigen und den Sünden eines christlichen Nationalismus, Rassismus und einer christlichen Fremdenfeindlichkeit widerstehen. Sie sind unsere Weggefährtinnen und Weggefährten auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit, der Versöhnung und der Einheit.
Und mit dieser wunderschönen Botschaft vom ersten Weihnachten ruft der Geist Gottes uns auf, an den Orten, an denen wir leben, zu Botschafterinnen und Botschaftern und Werkzeugen für Versöhnung zu werden. Die Zeit, in der wir leben, ist geprägt von zunehmender Polarisierung in den Familien, in den lokalen Gemeinschaften, Kirchen und Nationen; Spannungen, die zu Konflikten und Traumata führen.
Am ersten Weihnachten ist Gott in Jesus von Nazareth zu uns gekommen, damit wir mit Gott versöhnt und zu Werkzeugen für Versöhnung würden. Wir wünschen Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit und laden Sie ein, die Verheißung der Engel vom Frieden auf Erden in Glaube und Liebe anzunehmen, und als Pilgernde auf dem Weg hin zu Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit zu leben.
Priester Prof. Dr. Ioan Sauca
Geschäftsführende-Generalsekretär
Ökumenischer Rat der Kirchen