Sehr geehrte Exzellenzen und Eminenzen, geschätzte Mitglieder des diplomatischen Korps, geschätzte Gäste, sehr geehrte Damen und Herren, die Sie in Berlin anwesend oder von anderswo online zugeschaltet sind
1. Einleitung
Es ist mir eine Ehre, hier sprechen zu dürfen, mir gemeinsam mit Ihnen über die Rolle der Religion im Umgang mit der Corona-Pandemie und mit der globalen Gesundheit Gedanken zu machen und, was mich betrifft, das Thema aus der Sicht der Erfahrungen des Ökumenischen Rates der Kirchen anzusprechen.
Wie Sie vielleicht bereits wissen, ist der Ökumenische Rat der Kirchen eine globale Gemeinschaft von 349 verschiedenen christlichen Kirchen, die gemeinsam über eine halbe Milliarde Christinnen und Christen in 120 Ländern vertritt. Der ÖRK wurde 1948 gegründet und hat seinen Sitz in Genf, in der Schweiz. Er ist die wichtigste ökumenische Organisation der Welt. Der Zweck des ÖRK ist es, Christinnen und Christen weltweit zusammenzubringen, um historische Unterschiede zu überwinden (Einheit), öffentliches Zeugnis abzulegen und Fürsprachearbeit zu leisten (Zeugnis) und im Streben nach Gerechtigkeit und Frieden zusammenzuarbeiten (Dienst).
Die christliche Einheit ist jedoch eng verbunden mit dem Streben nach der Einheit der Menschheit und der ganzen Schöpfung. Die Sorge für die Wahrung der Schöpfung als unser gemeinsames Zuhause in Zusammenarbeit mit Menschen anderen Glaubens und mit all jenen, die die gleichen Werte teilen, ist denn auch ein wesentlicher Bestandteil der Programmarbeit des ÖRK.
Als eine Stimme der globalen Kirchen und derjenigen, deren Stimme sonst nicht gehört würde, hat sich der Ökumenische Rat der Kirchen auf internationaler Ebene von Anfang an aktiv und konsequent engagiert. Er trug zur Ausformulierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bei und schuf vor 75 Jahren ein Instrument (die Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten), um in bestimmten Ländern und international konkrete Probleme in Angriff zu nehmen. Über die Jahrzehnte ermöglichte der ÖRK der prophetischen Stimme von nationalen und regionalen kirchlichen Netzwerken, auf die Politik Einfluss zu nehmen und die Unterstützung der Bevölkerung zu erlangen, beispielsweise gegen die Apartheid oder für dutzende Einsätze der Friedenserhaltung und Friedenskonsolidierung sowie für den Waffenhandelsvertrag, für solide Klimaverpflichtungen, für die Rechte religiöser Minderheiten oder für den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen. Von seinem Hauptsitz in Genf und seinem Büro bei den Vereinten Nationen in New York aus hat der ÖRK in Zusammenarbeit mit wichtigen UN-Instanzen, wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNAIDS, dem Kinderhilfswerk UNICEF, dem Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) starke und effiziente Programminitiativen ausgearbeitet.
Ein weiterer einzigartiger Bestandteil des ÖRK ist das Ökumenische Institut Bossey. Es ist das internationale Zentrum des ÖRK für Begegnungen, Dialog und Bildung. Das Zentrum wurde 1946 gegründet und befindet sich im Château de Bossey, am Genfersee. Das Ökumenische Institut vereint Menschen aus verschiedenen religiösen Gemeinschaften, Kulturen und Hintergründen für ökumenisches und interreligiöses Lernen, akademische Studien und persönlichen Austausch.
Bischöfin Petra Bosse-Huber wird Sie später im Detail darüber informieren, dass der Ökumenische Rat der Kirchen seine 11. Vollversammlung vom 31. August bis 8. September 2022 in Karlsruhe, Deutschland, unter dem Thema „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ abhalten wird. Die Vollversammlung ist das oberste beschlussfassende Organ des ÖRK und tritt normalerweise alle acht Jahre zusammen. Die Pandemie zwang uns, die Vollversammlung auf nächstes Jahr zu verschieben.
Tatsächlich ist ebendiese Pandemie der Anlass für unser heutiges Zusammenkommen. Unterdessen greifen das Virus und dessen Varianten um sich, und die immense Aufgabe des Impfens, Schützens und Helfens der Bevölkerungen weltweit beeinträchtigt auch weiterhin unsere Gesundheitsversorgungen und Wirtschaftssysteme. Doch bitte ich Sie dringend, es niemals zuzulassen, dass die Pandemie auch unseren Mut und unseren Durchsetzungswillen beeinträchtigt! Für uns alle – Regierungen, Vereinte Nationen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Zivilgesellschaft und im Glauben verwurzelte Organisationen, wie der ÖRK – ist dies der Moment, in dem wir uns erheben und alles daransetzen, um das Virus zu besiegen, um für die Sicherheit und Gesundheit der Menschen weltweit zu sorgen. Wir verpflichten uns solidarisch für diese Kampagne für ein Leben für alle!
2. Was wir bisher getan haben und gegenwärtige Arbeiten
Um an das Thema dieser Sitzung heranzugehen, möchte ich einige Fragen stellen, die zum Teil als Selbstbetrachtung zu verstehen sind und zum Teil auf unsere gemeinsame Arbeit zur Bewältigung der Pandemie mit Ihnen allen, unseren Partnern, blicken:
- Wie hat der ÖRK als globale Gemeinschaft auf die Pandemie reagiert?
- Welche Rolle kann der ÖRK (und andere aus dem Glauben handelnde Gruppen und Organisationen) in Anbetracht unserer Erfahrungen – untereinander, über religiöse Grenzen hinweg und mit Regierungen und der Zivilgesellschaft – für die Bewältigung der Pandemie und deren zahlreichen Folgen spielen?
- Welche Perspektiven und vielversprechende Erkenntnisse für ein größeres Engagement und effizientere multilaterale Handlungen durch den ÖRK und andere im Glauben verwurzelte Gruppen und deren Partner auf der ganzen Welt zeichnen sich ab?
In den 20 Monaten seit Beginn der Pandemie hat der ÖRK in Telearbeit seine Aktivitäten neu ausgerichtet. Er strebte danach, die Kirchen weltweit auszurüsten, damit sie die durch die Pandemie verursachten Aufgaben der Gesundheitsversorgung und die seelsorgerische Betreuung angehen und mit der Allgegenwart von Krankheit, Tod und erheblichen Störungen umgehen konnten.
Da sich die Kirchen und der ÖRK schon immer stark mit Gesundheit und Heilung beschäftigten, konnte rasch ein Unterstützungsteam zusammengesetzt werden, das die zahlreichen seelsorgerischen Fragen und Sorgen auffing, die im lokalen und regionalen Umfeld entstanden. Das Team umfasst neun Personen mit Fachkenntnissen in verschiedenen Programmbereichen und steht bereit für Beratungen in Bezug auf die Rolle der Kirchen während der Corona-Pandemie, die nötigen Umstellungen als Glaubensgemeinschaft und die Kontakte und den Austausch unter den Kirchen. Dieser Dienst war schnell einsatzbereit und wird von Kirchen, Pastorinnen und Pastoren sowie von Einzelpersonen aus der ganzen Welt rege genutzt.
Da Reisen und Konferenzen plötzlich unmöglich geworden waren, stützte sich die Wirksamkeit des ÖRK in dieser Zeit hauptsächlich auf die rasche Entwicklung von Kommunikationskanälen, über die Geschichten aus der weiteren Gemeinschaft verbreitet, Berichte über Initiativen im Zusammenhang mit COVID-19 ausgetauscht und bewährte Praktiken unter den Kirchen bei der Bewältigung von COVID-19 hervorgehoben werden konnten. Daraus gingen konkrete Beispiele hervor, wie Glaubensgemeinschaften sich anpassen können und dies auch tun. Ergänzt wurden die Nachrichten und Geschichten durch solides Hintergrundmaterial zum Thema COVID-19 für Kirchen und Einzelpersonen. Die Besuche auf der ÖRK-Website nahmen 2020 im Vergleich zu 2019 um mehr als 50 % zu, mit über 1,3 Millionen Besuchen von gut einer Million Menschen. Unterstützt wurde diese Tendenz durch unsere neue Website.
Gleichzeitig haben die digitalen Neuerungen auch zahlreichen Programmen des ÖRK ermöglicht, mit ihren wichtigsten Interessengemeinschaften virtuell zusammenzuarbeiten, oft für Belange in Bezug auf COVID-19. Das Ergebnis ist eine Fülle von Webcasts, Podcasts, Blogposts und Webinaren, die nicht nur unmittelbare Fragen in Bezug auf die Gesundheit und die pastoralen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Pandemie erörtern, sondern auch die Auswirkungen auf und das Überdenken von angrenzenden Themen, wie soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Rassen- und Gendergerechtigkeit, Gewalt gegen Frauen und Kinder und gute Regierungsführung.
Daneben wurde auch eine Reihe von wichtigen Publikationen herausgegeben, insbesondere mit dem Ziel, die Gemeinschaft für die Herausforderungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie auszurüsten. Eine Informationsbroschüre zur globalen Bekämpfung der COVID-19-Pandemie legte Ansätze zum Schutz der Gesundheit fest. Mit dem Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog wurde die gemeinsame Erklärung Interreligiöse Solidarität zum Dienst einer verwundeten Welt: Ein christlicher Aufruf zum Nachdenken und Handeln während der Corona-Krise und darüber hinaus veröffentlicht. Und die Sammlung Heilung der Welt: Acht Bibelstudien für die Zeit der Pandemie lud Christinnen und Christen ein, mit ihrer Angst, ihrem Kummer und ihrer Unsicherheit aus einer biblischen Perspektive heraus zu ringen. Eine besondere virtuelle Ausgabe der ÖRK-Zeitschrift erörterte zudem die pastoralen und theologischen Herausforderungen der Pandemie.
Die stärkere Nutzung der sozialen Medien in dieser Zeit hat die Botschaft des ÖRK gestützt, doch, was genauso wichtig ist, die Menschen auch wirklich mit einbezogen, insbesondere durch Solidaritätskampagnen und Spiritualität. Die Identität des ÖRK als eine im Gebet und im Dienst vereinte Gemeinschaft, wurde sichtbarer gemacht durch die Veröffentlichung von täglichen Morgengebeten und wöchentlichen Gebetstexten. Diese Beiträge stammten von Mitgliedern der Gemeinschaft und wurden in den sozialen Medien und über andere Kanäle weit verbreitet.
Zusammengefasst kann man feststellen, dass der ÖRK im Endeffekt trotz der außergewöhnlichen Herausforderungen durch die Pandemie und unter diesen einschränkenden Bedingungen seine Wirkung als ein Einberufer der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen, als eine Determinante für das öffentliche Zeugnis und als eine Gemeinschaft, die solidarisch für Gerechtigkeit und Frieden arbeitet, in vieler Hinsicht stärken konnte.
Im vergangenen Frühling ernannte der ÖRK neun Kirchenleitende, die sich den 300 anderen „Impf-Champions“ anschlossen, die von UNICEF mobilisiert worden waren, um das Bewusstsein für die Nutzen der Impfung zu stärken, um Falschinformationen entgegenzuwirken und das Vertrauen in die Impfprogramme zu festigen. Bereits damals, als die Impfprogramme gegen COVID-19 entwickelt wurden, sagte ich, religiöse Führungspersonen aller Glaubensrichtungen spielten eine ausschlaggebende Rolle im Aufbau des öffentlichen Vertrauens in die Gesundheitsbehörden und -dienste sowie in die zugelassenen Impfstoffe. Als eine christliche Gemeinschaft ist es unsere Aufgabe und moralische Verpflichtung, Gerüchte und Märchen öffentlich zu widerlegen und sie mit Tatsachen zu konfrontieren. Während der Zugang zur Impfung und die Verteilung der Impfstoffe mit moralischen und ethischen Fragen verbunden sind, müssen wir Verantwortung übernehmen und uns für ein aus medizinischer, ethischer und menschenrechtlicher Perspektive heraus richtiges Verfahren einsetzen.
Tatsächlich hatte sich der ÖRK bereits zuvor zusammen mit dem Jüdischen Weltkongress einer gemeinsamen Erklärung angeschlossen, in der religiöse Führungspersonen aus allen Traditionen und Regionen eingeladen wurden, sich über zahllose ethische Fragen in Bezug auf die Verteilung von Impfstoffen auf der ganzen Welt Gedanken zu machen und zu engagieren.
3. Unsere dringlichsten Aufgaben
Sie können feststellen, dass dies eine Zeit war, in der der ÖRK neu lernen musste, welche Rolle er und die weltweite Gemeinschaft im Geschehen unseres Planeten und den Menschen spielt. Mir zumindest haben unsere Arbeit und unsere Beziehungen in der vergangenen Zeit und gegenwärtig einige bleibende Überzeugungen zur ökumenischen Bewegung eingebläut:
- Im Zentrum unserer Gemeinschaft – nicht nur als Kirchen – steht der gemeinsame ökumenische Geist: Er ist die Flamme, die unser Streben nach Gerechtigkeit entzündet und unsere Arbeit für den Frieden nährt.
- Diese spirituell inspirierte Arbeit des ÖRK reicht aber noch viel weiter. Sie will die Einheit der Christinnen und Christen und der ganzen Schöpfung erreichen und Trennungen überwinden, um der gesamten Menschheit in ihrem Streben nach Gerechtigkeit und Frieden zu dienen.
- Ein Teil unserer Verantwortung – als Einzelpersonen und als Kirchen – liegt in der Bereitschaft, uns verändern zu lassen und die Welt zu verändern, indem wir die konkreten Bedürfnisse Anderer befriedigen.
- Da die Gesundheit und das Wohlergehen auf der Welt eng mit unserer Identität als im Glauben verankerte Gemeinschaft verbunden sind, steht es in unserer Verantwortung und sind wir aufgerufen, in vielfältiger Weise dazu beizutragen, diese Pandemie einzudämmen.
- Konkret bedeutet dies, dass unsere Wirksamkeit als globale Gemeinschaft von unseren unentbehrlichen Partnerschaften mit gleichgesinnten Organisationen, wie Regierungsbehörden, der WHO, UNAIDS und UNICEF, sowie mit anderen religiösen Traditionen und mit der Konstellation von internationalen Organen und Organisationen, die dem Gemeinwohl dienen, abhängt.
Vor diesem Hintergrund hat der ÖRK die globalen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, die an dieser Stelle durch die Pandemie hervortreten, durch seinen Exekutivausschuss scharf verurteilt. Der Ausschuss hat dazu aufgerufen, die Impfstoffe und deren Verabreichung zu teilen, die technologischen Kenntnisse weiterzugeben, das Misstrauen zu überwinden und diejenigen Menschen zu retten, deren Leben und Gesundheit durch die Pandemie aus der Bahn geworfen wurden. Weiter hat der Exekutivausschuss Regierungen, Organisationen, religiöse Führungspersonen, Vorstände und Vorsitzende von Unternehmen im Besitz von Patenten und Materialien aufgerufen, Führungsqualitäten zu zeigen und gemeinsam schnell zu handeln, um weltweit eine umfassende, rasche, gerechte und bezahlbare Verteilung von Therapien und Impfstoffen sicherzustellen und dieses Versagen und dieses Unrecht zu korrigieren.
Solche Bestrebungen decken sich mit den internationalen Bemühungen von Regierungen und der WHO. Der Exekutivausschuss rief dazu auf, als humanitäre Geste die Technologie und das Know-how weiterzugeben und damit Herstellern in schwer getroffenen Ländern im globalen Süden zu ermöglichen, Impfstoffe für ihre Bevölkerung und andere Länder herzustellen. „Wir fordern eine größere Unterstützung und Beiträge für den COVID-19 Technology Access Pool (C-TAP) der WHO als wichtigstem Instrument zum Erreichen dieses Ziels sowie ebenfalls für die COVAX-Initiative für eine gerechtere Verteilung der verfügbaren Impfstoffe“, lautete die Erklärung. „Wir wissen, dass neben der Frage der Versorgung und Verteilung von Vakzinen weitere Faktoren die Auswirkungen der Pandemie verstärkt haben und bisher einen Ausweg aus der Krise erschweren.“
4. Beständige Engagements und zukünftige Zusammenarbeit
Was haben wir also daraus gelernt? Grundsätzlich glaube ich, dass wir die wirkliche Bedeutung unserer Arbeit erkannt haben, nicht trotz unserer Glaubensidentität, sondern durch sie. Unsere Identität als eine globale christliche Gemeinschaft befähigt uns, diese Krise in ihren tieferen kulturellen und geistlichen Dimensionen anzugehen, Barrieren zu durchbrechen und Brücken zu bauen und durch Beziehungen zu arbeiten. Besonders wichtige Punkte:
- Die Pandemie hat zwar unsere gemeinsame Verletzlichkeit aufgezeigt oder verstärkt, aber auch unsere grundsätzliche Gemeinschaft als Menschen, unsere Solidarität über Spaltungen und Grenzen hinweg und unsere Gabe für Mitgefühl, Verständnis und gar heroische Aufopferung aufgedeckt.
- Die tiefgründige Kraft und das große Potenzial von Glaubensgemeinschaften ist die entscheidende Variable und die unerlässliche Partnerin für die globale Gesundheit und das globale Wohl. Das religiöse Leben, das religiöse Gedankengut und die religiösen Praktiken von Gemeinschaften im Glauben formen sozusagen die Hintergrundgeschichte, denn die tief verankerten Werte und Überzeugungen der Menschheit – dabei Gerechtigkeit und Frieden, Menschenwürde und Menschenrechte – sind aus dem religiösen Erbe heraus entstanden und immer noch darin verwurzelt.
- Im Glauben verwurzelte Organisationen – seien sie christlich, muslimisch, jüdisch oder einem anderen Glauben zugehörig – haben eine einmalige Position inne. Sie können sich vor Ort praktisch für Probleme in Bezug auf die Gesundheitsversorgung und andere lokale Belange engagieren. Die im Gesundheitsbereich tätigen Organe von religiösen Gruppen machen kirchliche Organisationen für Regierungen und andere Instanzen zudem zu glaubwürdigen Akteuren in Bezug auf die „Impfgerechtigkeit“ und die Stärkung der Gesundheitsinfrastruktur.
- Lokale und regionale Glaubensgemeinschaften sind denn auch überall stark engagiert und setzen sich für das Leben, die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen vor Ort ein. In Bezug auf Ebola verfügen die Kirchen in Afrika beispielsweise über ein entscheidendes Wissen über örtliche Bräuche, welches in Verbindung mit intensiven Informationskampagnen erfolgreich zur Ausrottung der Krankheit beigetragen hat. Im Zusammenhang mit HIV und AIDS, um ein weiteres Beispiel zu nennen, arbeitete der ÖRK mit lokalen Kirchen und internationalen Organen zusammen, um die anfängliche Stigmatisierung der Krankheit zu bekämpfen und danach gegen die allgemeineren ungünstigen und zerstörerischen Auffassungen von Männlichkeit, Sexualität und gar des Glaubens selbst vorzugehen, die die Verbesserung der Lage beeinträchtigten.
- Die Gründungsmission des ÖRK und der anhaltende Auftrag bleibt die Ökumene, also die globale Bewegung christlicher Kirchen, gegen Trennungen vorzugehen und die Einheit anzustreben. Doch dieser Zweck und diese Bewegung waren nie einfach oder einzig dem Nutzen von Christinnen und Christen oder der Kirchen selbst gewidmet. Von Anfang an erfolgte das Streben des ÖRK nach Einheit zum Wohl der Menschheit und der Erde sowie im Interesse von Gerechtigkeit und Frieden.
- Es ist dieses weiter gefasste Ziel, das den ÖRK bereits bevor er 1948 offiziell gegründet wurde antrieb, sich unermüdlich dafür einzusetzen, nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge neu anzusiedeln, und danach dazu beizutragen, die Grundrechte zu formulieren, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausgerufen wurden, entschieden auf die Ketzerei der Apartheid in Südafrika und die Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika zu reagieren und schon früh die Bedeutung der Wahrung der Schöpfung angesichts von unersättlichen Wirtschaftssystemen zu betonen.
- Gesundheit und Heilung sind ein Arbeitsschwerpunkt unseres gegenwärtigen Engagements und heute nicht mehr von der Mission des ÖRK wegzudenken. Dies ist kein Zufall. Eines der wenigen Dinge, die wir über Jesus wissen, ist, dass er ein Heiler war, und das Wort Heiland bedeutet wortwörtlich Heilung. Tatsächlich wird uns in den Evangelien (Joh 10,10) gesagt, Jesus sei gekommen, damit wir das Leben haben und volle Genüge. Deshalb sind wir im Herzen dazu bereit, und werden es immer sein.
- Wir stellen zunehmend fest, dass unsere Programmarbeit Schnittpunkte mit UN-Organen, NGOs und religiösen Organisationen aufweist, nicht nur betreffend die Nutzung von Synergien, sondern auch mit Blick auf die Konsensbildung über die Gestalt des menschlichen Gutes unserer Zeit.
- Vermehrt erkennen wir auch, dass unser gemeinsames Glaubensbekenntnis – so unterschiedlich dessen Auffassungen auch sind – und unsere geteilten Werte uns enger miteinander verbinden und die Zusammenarbeit mit anderen religiösen Traditionen fördern, beispielsweise in Bezug auf Klimagerechtigkeit, Religionsfreiheit oder Menschenhandel.
- In ähnlicher Weise sind auch die programmatischen Ausrichtungen des ÖRK in unserem Glauben und in unserer Spiritualität verankert und durchwegs in Übereinstimmung mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs). Die SDGs wurden zwar von der Pandemie gestört, doch behalten sie ihre große Bedeutung für die Lebensfähigkeit der Menschheit auf diesem Planeten.
- Wenn die Glaubensgemeinschaften und religiösen Traditionen, dabei auch das Christentum, in ihrer Vergangenheit auch viel zu bedauern und bereuen haben und manchmal Misstrauen ernten, bleiben sie schließlich doch die Quelle unserer tief verankerten kulturellen Werte und eindeutig des Wertes und der Würde des menschlichen Lebens und Wohlergehens. Dieser Wert soll all unser Tun prägen sowie alles, was wir von anderen erwarten.
6. Zusammenfassung
Hat die Pandemie vielversprechende neue Elemente für unsere Zusammenarbeit offengelegt? Ich glaube schon, und zwar nicht nur für unsere Arbeit, sondern auch für die weitere Welt.
Die grundlegenden Lehren aus dieser Pandemie beziehen sich auf unsere geteilte Verletzlichkeit – und unser geteiltes Schicksal – als die eine Menschheit. Unsere Wahrnehmung der Verwundbarkeit des menschlichen Lebens – und allen Lebens auf der Erde – wurde geschärft. Deshalb schätzen wir all die tiefen Vernetzungen, die wir untereinander in der Familie und in der Gemeinschaft, in unserem Land und in der Welt teilen, heute viel bewusster. Wir bekunden eine neue Offenheit, geben historische Ungerechtigkeiten zu, setzen uns mit ihnen auseinander und teilen eine neue moralische Einschätzung von Rasse, Klasse und Gender. Außerdem sind wir nun eher bereit, Anliegen und Erkenntnisse von Frauen, jungen Menschen, indigenen Völkern und Menschen, die durch unsere Wirtschafts-, Gesundheits-, Immigrations-, Asyl- oder Polizeisysteme immer wieder ungerecht behandelt werden, zu anerkennen und zu feiern.
Auf diese Weise wird durch die Pandemie vielleicht eine neue Bereitschaft für konkrete soziale Veränderungen und eine Hingabe für unsere eine Menschheit auf dieser Welt keimen. Lasst uns darauf bauen!
Ich glaube, dafür brauchen wir einen besonnenen, beruhigenden Glauben an die Menschheit, eine realistische Hoffnung für die Zukunft und eine standhafte, aktive und gesamtheitliche Liebe. In Partnerschaft mit Ihnen allen und mit allen Menschen guten Willens hoffen wir, als globale Gemeinschaft von Kirchen aus der ganzen Welt zu diesem wichtigen Bestreben beizutragen.