Welche Bibelverse haben Sie an den Beginn Ihrer Worte zur Eröffnung der ÖRK-Exekutivausschusstagung vom 17. bis 23. Mai gestellt?
Dr. Abuom: Zum einen hatte ich Worte aus 5.Mose (1,6-7) gewählt: „Der Herr, unser Gott, redete zu uns am Berge Horeb und sprach: Ihr seid lange genug an diesem Berge geblieben; wendet euch und zieht hin...“
Zum anderen hatte ich Psalm 50,15 ausgesucht: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“
Die COVID-19-Pandemie ist für alle Menschen und ihre Beziehungen zu Gott durch die Kirchen folgenreich. Welchen Einfluss hat das auf Ihre Arbeit?
Dr. Abuom: Als Mitglied des Zentralausschusses war es für mich eine enorme Bereicherung, seit dem letzten Jahr Teil unserer viel sichtbareren gemeinschaftlichen spirituellen Reise zu sein. Ich habe viel über unsere gemeinsame Arbeit, unsere alltäglichen Herausforderungen und die Erwartungen der Mitgliedskirchen nachgedacht.
Können Sie kurz umreißen, welche Themen und Probleme die Mitgliedskirchen konkret angesprochen haben?
Dr. Abuom: Am häufigsten wurde ich gefragt, wann wir einen neuen Generalsekretär oder eine neue Generalsekretärin wählen werden. Dicht darauf folgte die Frage, wie sicher ich angesichts des sich schnell verändernden sozioökonomischen, politischen und religiösen Kontextes sei, dass die Vollversammlung tatsächlich stattfinden wird. Aus vielen Regionen und insbesondere von engagierten Ökumenikerinnen und Ökumenikern erreichte mich zudem die Frage, wie die Zukunft der Ökumene und vor allem die des ÖRK aussehen würde.
Auf welche Art und Weise haben Sie sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt?
Dr. Abuom: Ich habe mich durch die Auseinandersetzung mit diesen Fragen gefragt, ob die COVID-19-Pandemie und ihre positiven und negativen Folgen uns anspornen, darüber nachzudenken, ob wir zu lange am Berg Horeb geblieben sind und ob wir vielleicht unsere Zelte abbrechen müssen, und was das konkret für den ÖRK bedeuten würde. Wir brauchen die ökumenische Bewegung heute noch genauso sehr wie zu ihrer Gründungszeit, auch wenn die Herausforderungen heute vielleicht andere sind als im letzten Jahrhundert. Als ökumenische Bewegung und als ÖRK brauchen wir einander, um ganz zu sein. Sich über den Weg in die Zukunft Gedanken zu machen und neue Formen der Partnerschaft und des Dialogs als Arbeitsansatz auf den unterschiedlichen Ebenen anzubieten, ist für die Modernisierung der Ökumene und den Umgang mit dringenden Herausforderungen von zentraler Bedeutung.
Worauf haben Sie in Ihrer Ansprache den Schwerpunkt gelegt und warum?
Dr. Abuom: Als ich darüber nachdachte, welchen Schwerpunkt ich bei dieser Tagung würde legen wollen, kamen mir die Bibeltexte aus 5.Mose und Psalm 50,15 in den Sinn. Gott erwartet von uns, dass wir ihn in solch unsicheren und schwierigen Zeiten, wenn die Wolken tief hängen, um Hilfe bitten; das Schutzdach, das uns der Himmel bietet, ist unsichtbar; und er erwartet, dass wir an ihn glauben und entsprechend handeln. Aus irgendeinem Grund hat mich die Symbolkraft vom Berg Horeb gefesselt und meine Gedanken fast paralysiert.
Und mit welchen Themen haben Sie sich dann beschäftigt?
Dr. Abuom: Schwerpunktmäßig habe ich einen Blick auf die Veränderungen bei uns geworfen. Ich habe gesagt, dass wir, der Vorsitz des ÖRK-Zentralausschusses, in unseren Tagungen oftmals Sorge hatten, dass die Grenzen zwischen Leitungs- und Managementaufgaben verschwimmen würden. Glücklicherweise wurde die Grenze bisher nicht überschritten, aber wir passen weiterhin sehr gut auf. Der Exekutivausschuss hat getan, was im Rahmen seines Mandats möglich war. Unsere Beratungen waren immer von der Frage geprägt, ob eine persönliche Tagung des Zentralausschusses möglich sein würde, damit dieser die ihm vorbehaltenen Entscheidungen treffen könne.
Haben Sie Lösungskonzepte vorgeschlagen?
Dr. Abuom: Ich habe vorgeschlagen, den Rahmen dessen auszuweiten, worüber wir überhaupt nachdenken: Ist es vielleicht an der Zeit, weniger eng zu denken, und wenn ja, was würde das bedeuten? Als wir der ÖRK-Führung die Informationen über das COVID-19-Virus im Februar 2020 vorgelegt haben, wurde darauf hingewiesen, dass Gesundheitsthemen/Entscheidungen der WHO politisch beeinflusst sein könnten und sind.
Der oben zitierte Bibeltext zeichnet ein Bild von Menschen, die entscheiden müssen, ob sie an dem Berg bleiben oder ihre Reise fortsetzen. Vielleicht ist es die Angst vor einer bösen höheren Gewalt oder das Gefühl, nicht sicher zu sein, wie stark der Feind ist, dem sie vielleicht begegnen würden – auf jeden Fall sind sie unentschlossen. Der Psalmist erinnert sie daran, dass Gott von ihnen erwartet, dass sie ihn in solch schwierigen Moment um Hilfe bitten. Ich fühlte mich in einer ähnlichen Lage als wir darüber nachdachten, wie es weitergehen könnte, solange persönliche Zentralausschusstagungen nicht möglich sind.
Haben Sie sich auch mit den verschiedenen Formen des Umgangs mit der COVID-19-Pandemie beschäftigt?
Dr. Abuom: Ich habe das Thema eines fairen und gerechten Zugangs zu den Impfstoffen angesprochen. Man hört, dass es drei Jahre dauern könnte, bis alle Menschen geimpft sind. Und neben den bereits formulierten Sorgen hinsichtlich der Produktion von Impfstoffen könnte die Verteilung der Impfstoffe zu einem größeren politischen Machtspiel der mächtigen Länder werden und einige könnten die schnelle Produktion von Impfstoffen gar als sanftes Machtinstrument missbrauchen. Ich weiß, dass der Ausschuss eine Erklärung zu diesem Thema formulieren wird. Wir sind zudem gewarnt, auf der Hut zu sein vor einer Impf-Diplomatie.
Welche Verbindungen gibt es hier zum Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens?
Dr. Abuom: Mit Blick auf den Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens müssen wir aufgrund der Pandemie neu über den Pilgerweg nachdenken. Was heißt es, Pilgerin oder Pilger zu sein und einen Pilgerweg zu unternehmen, bei dem wir unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie gemeinsam beten, unterwegs sind und arbeiten? Wie können wir durch das Negative, das Positive und das Transformierende an den Erfahrungen teilhaben – kann der nordamerikanische Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens Erkenntnisse liefern? Wie kann der ÖRK gemeinsam mit den Kirchen angesichts des Arbeitsschwerpunktes auf den verschärften psychischen Problemen und anderen zugrundeliegenden Problemen und im Kontext von Gesundheit und Heilen Optionen für Heilung schaffen?
Welche Hürden bestehen zum Beispiel im Bereich Heilen?
Dr. Abuom: Die Abhängigkeit von Technologien – der Satz „Gemeinsam können wir einen Schritt weiter gehen“ ist eine Einladung. Einige Beobachtende sind der Auffassung, dass wir umso abhängiger und süchtig nach Digitalem werden, je mehr digitale Kommunikation und andauernde Meetings unter dem Deckmantel der Pandemie 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr stattfinden. Das wird sehr wahrscheinlich die Qualität unserer Leben und unserer Beziehungen beeinflussen; schon bei Mobiltelefonen wird gesagt, dass sie dazu beitragen, dass Beziehungen kaputt gehen. Wie also machen wir weiter – und wie können wir zusammen eine Bewegung sein, die die Qualität unserer Gemeinschaft verbessert und gleichzeitig die Risiken minimiert? Gewiss müssen wir zusammenstehen und zusammenbleiben.
Sind Kinder im Kontext der Pandemie mit Hürden in Heilungsprozessen konfrontiert?
Dr. Abuom: Sichere Räume für Kinder muss es auch in der Pandemie geben, zum Beispiel Bemühungen um die Sicherheit von Kindern durch Erlasse von Regierungen, was sie tun und an wen sie sich wenden können. Oder im Übrigen, wann und wie sie lernen können, wenn sie im Lockdown sind oder Ausgangsbeschränkungen herrschen; kritischen Stimmen von Kindern und Räumen, in denen sie von ihren eigenen Erfahrungen mit der Pandemie berichten und erzählen können, wird kein großer Stellenwert beigemessen. Regierungen haben kaum die Sichtweisen von Eltern, Religionsgemeinschaften oder auch nur den Lehrenden eingeholt. In meiner Wahrnehmung bieten die digitalen Optionen Kindern wenig oder gar keine Möglichkeit für spirituelle Erfahrungen oder Gottesdienste. Wir sind aufgerufen, innovative Kirchen zu unterstützen, indem wir ihr Material verbreiten, insbesondere durch unser Programm zur Sicherheit von Kindern im öffentlichen und gottesdienstlichen Raum, und wir müssen die Kirchen ermuntern, auf die Bedürfnisse von Kindern zu achten und einzugehen und ihnen eine Möglichkeit der Mitsprache und der Teilhabe zu geben.
Können Sie Möglichkeiten nennen, wie man mit dieser Situation umgehen kann?
Dr. Abuom: Um dem zunehmenden Auseinanderdriften entgegenzusteuern, sollten wir uns eine Situation vorstellen, in der die technologischen Möglichkeiten für ein Engagement erweitert und vertieft werden und das sowohl auf horizontaler wie auf vertikaler Ebene. Viele junge Menschen sind bereits vernetzt und technisch versiert. Was aber würde es von uns verlangen, diese bestehenden Vernetzungen um einen klareren Fokus zu erweitern und vielleicht die Teilhabe und Bereitschaft der aktuellen, aber auch der nächsten Generation sicherzustellen, sich für die Ökumene zu engagieren? Welche Inhalte und welche Prozesse würden zutage treten? Was würde es für die Kirchen und die ökumenische Bewegung bedeuten, die Zelte abzubrechen?
Gibt es in diesem Szenario überhaupt noch einen Platz für die ökumenische Bewegung?
Dr. Abuom: Im Hinblick auf die Vision des ÖRK von Einheit bin ich überzeugt, dass die ökumenische Bewegung in einer Zeit, wie der aktuellen, in der die Welt immer noch entlang der Grenzen ethnischer Zugehörigkeit, des Genders und nach wirtschaftlicher Stärke gespalten ist und die Pandemie Gemeinschaften von Menschen zerrissen hat, eindeutig weiterhin eine Daseinsberechtigung hat. Der ÖRK und seine strategische Ausrichtung werden vielleicht wieder hinterfragt, um Aktualität und Zweckmäßigkeit zu ermitteln. Aber Gemeinschaft an sich – das Nachdenken über potenzielle schwere Zerrüttungen der Gemeinschaft, die Ausprägung und der Umfang der „convener“-Rolle und der Macht des ÖRK, die weiterhin notwendig sind, – ist unerlässlich.
Können Sie uns den Gedanken der Einheit noch näher erläutern?
Dr. Abuom: In vielen Kirchen – in der Einheit in Vielfalt – gibt es Momente, in denen mein Dilemma in Bezug auf Einheit deutlich wird. Wenn wir nach Einheit in Vielfalt streben, ist jede neue Mitgliedskirche dann ein Grund zur Freude und ein Grund zu feiern oder ist sie ein Grund zur Sorge? Ein konkretes Beispiel ist ein nationaler Kirchenrat, der über die Jahre viele kleine Kirchen aufgenommen hat. Aufgrund ihrer Anzahl kommt diesen Kirchen in der Entscheidungsfindung auf einmal eine wichtige Rolle zu. Sie wollen Führungsverantwortung übernehmen, wodurch die Gründungsmitglieder, die die Macht des Geldbeutels und die Kapazitäten haben, aus diesen Positionen verdrängt werden. Das erinnerte mich an den Grund, warum auf der ÖRK-Vollversammlung 1998 in Harare die Einsetzung einer Sonderkommission gefordert wurde.
Können Sie kurz umreißen, was in Harare gefordert wurde?
Dr. Abuom: Es gibt das Boot der Ökumene – der ÖRK hat Einfluss auf die Steuerung dieses ökumenischen Bootes genommen und sichergestellt, dass andere Parteien durch themenspezifische Säulen mit an Bord kommen konnten. Zu diesen Säulen zählen Einheit, Mission, Gerechtigkeit und Diakonie. Der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens hat den interreligiösen Dialog in die Friedenskonsolidierung ausgeweitet. Während sich das Boot aber nach vorne bewegt hat, können viele es nur noch verschwommen erkennen. Trägt die COVID-19-Pandemie zu diesem bescheidenen ökumenischen Gedächtnis bei? Und wie können wir wieder zu Kräften kommen?
Ganz genau – wie können wir wieder zu Kräften kommen?
Dr. Abuom: Ganzheitlich – ökumenische Bewegung, Kirchen und Gemeinden sind wichtige Faktoren. Die ökumenische Bewegung und der modus operandi des ÖRK in den letzten 70 Jahren bestand insbesondere in Konferenzen, Meetings und Reisen als Ausdruck von Solidarität mit anderen, vor allem in problematischen Kontexten. Das ist zunehmend weniger gut machbar. Ein Dilemma, mit dem wir uns vielleicht beschäftigen sollten, ist die Arbeitsweise, die sich wellenartig nach außen ausbreitet; sie ermöglicht nur die Teilhabe einer begrenzten Anzahl von Menschen und hat den Mitgliedern auf nationaler, regionaler und globaler Ebene relativ viel abverlangt. Wir müssen vielleicht neue Formen der Partnerschaft denken, durch die lokale, regionale und der globale Kontext überzogen sind von blühenden Blumen als Ausdruck von Einheit in Vielfalt. Dieser Ansatz unterscheidet sich von unserer derzeitigen Arbeitsweise, bei der sich alles von einem Zentrum wellenartig nach außen ausbreitet; es wäre eine Möglichkeit, vielmehr einen ganzheitlichen Ausdruck der Bewegung auf allen Ebenen und in allen Räumen, in interaktiven Beziehungen untereinander zu ermöglichen.
Und wie haben Sie die Tagung des ÖRK-Exekutivausschusses beendet?
Dr. Abuom: Ich habe den Mitgliedern des Exekutivausschusses von Herzen fürs Zuhören und ihre Unterstützung gedankt. Ich habe gesagt: „Lassen Sie uns, uns auf unserem Weg in die Zukunft immer wieder fragen, ob es Bereiche oder Themen gibt, an denen wir länger verharrt sind, als wir sollten, – wo sind diese Berge? Gibt es gute Gründe, die Zelte abzubrechen und neue Räume zu eröffnen – und wie würden diese aller Wahrscheinlichkeit nach aussehen? Im Laufe der Geschichte werden wir analysiert werden und es wird sich gefragt werden, welchen Beitrag wir zur Gegenwart und zur Zukunft geleistet haben. Was hinterlassen wir der ökumenischen Bewegung auf unserem Weg hin zur nächsten Vollversammlung, das die Vitalität und den Fortbestand des ÖRK und der ökumenischen Bewegung sicherstellen wird? Wenden wir uns an Gott, dass er uns den Weg weisen und die Angst nehmen möge!“
Weitere Informationen über den ÖRK-Exekutivausschuss
Weltweite Online-Andacht für das Heilige Land (in englischer Sprache)
11. ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe, Deutschland